7^
V
ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde.
Begründet von Karl Weinhold.
Im Anftrag^e des Vereins
Johannes Bolte.
18. Jahrgang.
Mit neunundvierzig Abbildungen im Text.
BERLIN.
BEHREND & C^.
(vormals A. Asher & Co. Verlag)
1!)08.
1908.
I
Inhalt.
Abhandlungen und grössere Mitteilungen.
Seite
Rübezahl im heutigen Volksglauben. Von Richard Loewe. (1. Der Südosten, 2. Der Nordosten, o. Der Nordwesten. 4. Der Südwesten. Anhang: Die deutschen Namensformen für Rübezahl. Nachtrag) 1—24. 151—160
Nachlese zu den Sammlungen deutscher Kinderliedor. Von Georg Schläger
(Nr. 201— 283. Nachträge) 24— 53
Der Schwank von der faulen Frau und der Katze. Von Johannes Bolte. . . 53— GO
Die iranische Heldensage bei den Armeniern, Nachtrag. Von Bagrat Chalatianz 7. Rostam hilft dem Könige Key-Kobäd gegen die Turanier. — S. Rostam und Zorab: Rostam und Brzo: der Einfall der Turanier. — 0. Rostams Schmaus in Turän. — 10. Siavuss Ermordung. — 11. Rostams Streit mit dem Könige und dessen Beilegung. — 12. Rostam rettet den turanischen König, tötet ihn aber, als dieser sich verräterisch erweist) <jl— fifi
Der kluge Vezier, ein kaschmirischer Volksroman, übersetzt von Johannes
Hertel 66— 7G. 160-177. 879-393
Ein Weihnachtspiel aus dem Salzkammergute, herausgegeben von Johannes
Bolte 129-150
Die weissagende indische Witwe. Von Theodor Zachariae 177 — 181
Bericht über die Neuaufstellung der Königlichen Sammlung für deutsche Volks- kunde in Berlin, Klosterstrasse 36, im Jahre 1907. Von Karl Brunn er (mit 22 Abbildungen) 241-263
Die Schwarzwälder Sammlung des Herrn Oskar Spiegelhaider auf der Villinger
Ausstellung 1907. Von Franz Wcinitz (mit zwei Abbildungen) 263—267
Die Glasindustrie auf dem Schwarzwald. Von Oskar Spiegelhald er (mit
sieben Abbildungen) 26 (—277
Kopfziegel, ein Giebelschmuck aus Oberbaden. Von Hugo von Preen (mit vier
Abbildungen) 277—279
Spatzenhafen aus Müllheim in Baden.' Von Hugo von Preen (mit zwei Ab- bildungen) 280
Dunkelfarbige Marienbilder. Von Hermann Sökeland (mit neun Abbildungen) 281—295
Das Wasser im Totengebrauche. Von Paul Sartori 353—378
Die Melodien zu der Ballade von der Nonne. Von Raimund Zoder 394—411
Die Thüringer Volkstrachten. Von Luise Gerbing (mit drei Abbildungen). . 412—425
Kleine Mitteilungen.
Zum deutschen Volksliede. Von J. Bolte (31. Vom üblen Weibe. — 32. Soldatea- leben in Batavia. — 33. Seefahrt nach Batavia. — 34. Unser Bruder Melcher. — 35. Volkslieder aus Hessen, gesammelt von den Brüdern
Grimm) '^''— '"^'"^
Drei Primizlieder aus Tirol. Von Emil Karl Blümml 88— 90
Zum Montavoner Krautschneiderlied (oben Kl, 435). Von Emil Karl Blümml 90
Die Sage von dem unbewusst überschrittenen See. Von J. Bolte 91
Beiträge zur Volkskunde des Ostkarpathengebietes. Von Raimund Friedrich
Kaindl (5. Moderne Zauberer. ('). Die Eigenschaften einiger Tiere) ... 92- 98
Westfälische Hochzeitsladung in Missouri 99—101
Zu den Mailehen (oben 17, 97). Von Willem Zuidema 101—102
IV Inhalt.
Seite
Sankt Raspinus nnd Ponus. Von Willem Zuidema ]0'2 — 103
Zum Sagouscliatzc des Isarwinkels. Von Max Höl'ler 182 — 184
Volkslieder aus der Eitel. Von Hans Heuft 134—188
Eine Geschichte der Wanyaruanda, übersetzt von Bernhard Struck 188— 191
Das Jahr 1809, Erinnerungen alter Gossensasser. Von Mario Rehsener . . . 191 — 194 Zum Märchen vom fliegenden Pfannkuchen (ohen 17, ISO}. Von Willem
Zuidema 195
Elard Hugo Meyer f- Von Max Roediger 234—236
Handwerksburschengeographie, ein niederösterreichisches Lied des 18. Jahr- hunderts. Von Jakob Kelemina 29G— 300
Ein Lobspruch auf die deutschen Städte aus dem 15. Jahrhundert. Von J. Bolte 300—304 Nochmals die Sage vom unbewusst überschrittenen See (vgl. oben S. 91). Von
Paul Beck und J. Bolte 305 — 306
Eine Methode zur lexikalischen Anordnung von Ländlern. Von Raimund Zoder 307—311
Tiere übernehmen menschliche Krankheiten. Von Richard 'An dree 311
Erlöschen der Altarkerzen. Von Richard Andree 311
Traumdeutungen aus Hessen. Beobachtung der Zugvögel. Von Anna Kobligk 312
Die Bereitung der Osterkerze im Mittelalter. Von Anton E. Schöubach . . 426—428 Ein isländisches Pfarrhaus vor hundert Jahren. Von Margarete Lehmann-
Filhes 429-431
Zur Ballade vom Ritter Ewald. Von Emil Karl Blümrnl 431—433
Inschriften an Kruzifixen und Bildstöcken in Westfalen. Von Otto Pappusch 433—436 Zu dem volkstümlichen Motiv von den weiblichen Schönheiten. Von Guido
Manacorda 436—441
Luiska. Von Otto Bö ekel 441
Das Dach über einem Sterbenden abdecken. Von Theodor Zachariae. . . . 442—446
Sprichwörter-Anekdoten aus Franken. Von A. L. Stiefel 446—449
Aberglaube aus Württemberg. Von J. Bolte 449
Zu Kerkerings Grabschrift (oben 16, 431). Von Willem Zuidema 449
Berichte und Bücheranzeigen.
Neuere Märchenliteratur. Von J. Bolte 450 — 461
Neue Forschungen über die äusseren Denkmäler der deutschen Volkskunde: volks- tümlichen Hausbau und Gerät, Tracht und Bauernkunst, 1: Der Hausbau.
Von Otto Lauffer 104-113. 196-203
Neuere Arbeiten zur slawischen Volkskunde, 1. Polnisch und Böhmisch. Von
Alexander Brückner 203—214
2. Südslawisch. 3. Russisch. Von Georg Polivka ...... 214—219. 313—331
Abeling, Th. Das Nibelungenlied und seine Literatur (H. Michel) 117—118
Arrhenius, S. Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Zeiten
(R. M. Meyer) 465
Berze Nagy, J. Volksmärchen aus dem Heves- und Jäsz-Nagykun-Szolnok-
komitat (E. Rona-Sklarek) 228-230
Böckenhoff, K. Speisesatzungen mosaischer Art in mittelalterlichen Kirchen- rechtsquellen des Morgen- und Abendlandes (H. Micliel) 470—471
Consentius, E Alt-Berlin Anno 1740 (H. Michel) ,340-441
Dähnliardt, 0. Natursagen 1: Sagen zum Alten Testament (J. Bolte) . . . 224-225 Deissmanu, A. Licht vom Osten, das Neue Testament und die neuentdeckte»
Texte der hcllenistisch-römiscben Welt (R. Petsch) 461-464
Diederichs, E. Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern 1. 2 (J. Bolte)
119—120. 4(;8-469
Eccardus. Geschichte des niederen Volkes in Deutschland (M. Krammer) . . 332—333
Friedli, E. Bärndiitscb 2: Grindolwald (0. Eberiiiann) 334
Gebhardt, A. Grammatik der Nürnberger Mundart (S. Feist) 335-336
Inhalt. V
Seite
Heilig-, 0. Die Ortsnamen des Grossherzogtums Baden (B. Kahle) 222—22;^
Herrmaini, P. Island in Vergangenheit und Gegenwart (M. Lehmann-Filhes) 210—221 Höfler, M. Die medizinische Organotherapie und ihr Verhältnis zum Kult- opfer (P. Bartels) 341-343
Ive, A. Canti popolari velletrani (J. Bolte) 344—345
Kaindl, R. F. Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern, Bd. 1—2
(B. Kahle) 115-117
Karpathen, Die. Halbmonatsschrift, hsg. von A. Meschendörfer (E. Lemke) 225
Kluge, F. Bunte Blätter, kulturgeschichtliche Vorträge und Aufsätze (.1. Bolte) 4G7— 4G8 Leithäuser, J. Volkskundliches aus dem Bergischen Lande 1; Tiernamen
(R. M. Meyer) 'J-56
Lüpkes, W. Ostfriesische Volkskunde (J. Bolte) 344
Meyer, Ed. Elemente der Anthropologie (R. M. Meyer) 226-227
Ohrt, F. Kalevala 1-2 (A. Heuslcr) 345-346
Po litis, N. G. rafii'iha al'iißola (E. Samter) 121-123
Pradel, F. Griechische und süditalienische Gebete, Beschwörungen und Rezepte
des Mittelalters (J. Bolte) 470
Randolph, C. B. The Mandragora of the ancients (A. Hartmann) 343—344
S ahler, L. Montbeliard ä table (E. Hahn) 126-127
Schmidt, Rieh. Fakire und Fakirtum (R. M. Meyer) 227-228
Sehr ad er, 0. Sprachvergleichung und Urgeschichte, 3 Aufl. 2, 1—2
(F. Hartmann) 338-340
Sebillot, P. Lefolk-lore de France, tome 4: Le peuple et l'histoire (J. Bolte) 118—119
Sebillot, P. Le pagauisme contemporain chez les peuples celto-latins (J. Bolte) 469—470
Steinmetz, S. R. De studie der volkenkunde (B. Kahle) 113-115
Stucken, E. Astralniythen der Hebräer, Babylonier und Ägypter, 5: Mose
(R. M. Meyer) 337
Troels-Lund. Himmclsbild und Weltanschauung im Wandel der Zeiten
(R. M. Meyer) 465
Wehrhan, K. Die Sage (M. Roediger) 466-467
Wiener, 0. Das deutsche Handwerkerlied (H. Michel) 118
Winternitz, M. Geschichte der indischen Literatur 2 (R. Schmidt) 230—231
Notizen (A. Baragiola, A. Brunk, J. R. Bunker, A. Dachler, H. Diels, L. Dietrich, J. G. Frazer, F. Hahn, M. Hartmann, K. Knopf, E. v. Künssberg, Gh. Lazzeri, M. Kristensen- A. Olrik, M. Olsen, K. Reuschel. — J. Bernstein, F. J. Bronner, A. de Cock-J. Teirlinck, 0. Colson, H. Diels, A. Ehrenzweig, J. Faitlovitch, W. Fehse, R. Fischer, A. Freybe, F. Giese, F. Heinemann, W. Hertz, 0. V. Hovorka-A. Kronfeld, A. Madelaine, K. Müller -Fraureuth, A. Sauer, K. Schirmacher, L. v. Schröder (A. Olrik, K. Krohn), F. Sohns, C. W. V. Sydow, V. Tille, 0. Weise, P. G. Wistrand. — K. Adrian, R. Brand- stetter, S. Buggc, B. Clemenz, V. Dingelstedt, W. Grothe, A. Hilka, G. Jacob, 0. Knoop, E. Kück, F. v. d. Leyen, R. Lilieutal, A. Löwinger, R. Meyer, K. Nyrop, M. Olsen, E. Otto. — W. G. Bek, Berliner Kalender, F. Heine- mann, K. Jaisle, W. Keller, H. Lemcke, 0. Meisinger, R. Ohle, H. Pieper, H. Ploss-M. Bartels, H. Schulz, S. R. Steinmetz, C. W. v. Sydow, J. L. de Vasconcellos) 123-124. 230-234. 347-349. 471-173
Entgegnung. Von D. Schäfer und 0. Lauffer 236-237
Berichtigung zu S. 22Sf. Von E. RonaSklarek 471
Aus den Sitzungsprotokollen des Vereins für Volkskunde. Von K. Brunner
124-128. 237-240. 349—352
Register 474-480
Eübezahl im heutigen Volksglauben.
Von Richard Loewe.
Als icli im August und September dieses Jahres eine Reise iu das Hiesengebirge unternahm, beabsichtigte ich nur, mich über die Lage und Beschaffenheit der Örtlichkeiten, an denen die Erzählungen von Rübezahl spielen, genauer zu unterrichten. Erhebliches noch über Rübezahl selbst aus dem Yolksmunde zu hören, hegte ich nicht die Hoffnung. Hatten doch so gute Kenner des Riesengebirges wie Regell und Cogho die Behauptung aufgestellt, dass das Volk heutzutage nichts von Rübezahl wisse, und hatte doch selbst Konrad Zacher, der in seinen Rübezahl- Annalen (Festschrift der Ortsgruppe Breslau des Riesengebirgs -Vereins, Breslau 1906, S. 75 ff.) durch Zusammenstellung der vorhandenen Zeug- nisse die Existenz unseres Berggeistes im Volksglauben der Riesen- gebirgsbewolmer für das 16. und 17. Jahrhundert klar erwiesen hat, nur einen schüchternen Zweifel gegen Regells Ansicht gewagt. Und wenn auch Ulrich Jahn (oben 11, 336f.) noch einiges über Rübezahl aus dem Volksglauben des Isergebirges aus dem Jahre 1882 beigebracht hatte, so war das ja ans einer nicht von Fremden besuchten Gegend, in der auch schon inzwischen die Sage fast ganz erloschen sein konnte. Was aber 'Rübenzahls Wagenspuren' anlangt, die mir auf einer früheren Reise gezeigt worden waren (oben 15, 176ff.), so neigte ich mich bereits der Ansicht zu, dass ihr Name wie auch die der meisten übrigen nach Rübezahl benannten Punkte auf Erfindungen von Gebirgsführern beruhten; was ich aber sonst noch damals über den Berggeist herausbekommen hatte, war so wenig gewesen, dass ich auch auf meiner zweiten Riesengebirgsreise im besten Falle wieder nur auf einige schwache Reminiszenzen an den- selben zu stossen hoffte. Zu meiner Freude jedoch wurde ich in dieser Erwartung gründlich enttäuscht.
Wenn die meisten Riesengebirgsbewohner, über Rübezahl befragt, die Antwort geben, dass sie nichts von ihm wüssten, so beruht das bei vielen derselben nur auf der Scheu, als abergläubisch angesehen zu werden. Ich will ein Beispiel dafür anführen. In einem Dorfe erkundigte ich mich bei
Zeitsclir. d. Vereins f. Volkskunde. 1908. 1
Loewe:
den beiden ältesten Leuten, einem siebeuuudachtzigjährigen und einem vierundaclitzigjährigen Manne danach, was sie über Rübezahl wüssten. Der erstere wollte mir keine Auskunft geben mit der Begründung, dass die Geschichten von Rübezahl, der ein ({eist gewesen sein solle, nur Märchen wären; der letztere behauptete überhaupt nichts von Rübezahl zu wissen, und nur mit Mühe brachte ich aus ihm heraus, dass er mir 'Rübezahls Lustgarten' als eine bestimmte Örtlichkeit nannte. Zufällig kam ich nun später zu dieses Mannes Schwiegersohne, der mir bereit- willigst eine Reihe von Rübezahlgeschichten mitteilte und mir dann auch sagte, dass auch sein Schwiegervater solche zu erzählen pflege. Freilich kann in diesem Falle der Schwiegervater auch lesen und schreiben, der Schwiegersohn kann es nicht. Doch hatte mir auch ersterer ohne Bedenken erzählt, dass sein Vater, als seine Schwester das 'hitzige Fieber' hatte, das Blut besprochen habe. Wenn er aber wie so viele andere von Rübe- zahl nichts wissen wollte, so wird eben dazu schon die Schule beigetragen haben, in der ja gerade die Geschichten von Rübezahl als 'Märchen' oder 'Sagen' bezeichnet werden; auch Bücher mit Titeln wie 'Märchen von Rübezahl' findet man im Riesengebirge verbreitet. Immerhin hat zu der irrtümlichen Anschauung, dass die Riesengebirgsbewohner nichts über Rübezahl wüssten, vielleicht noch ein zweiter Umstand beigetragen. Im nordwestlichen Teile des Riesengebirges, in Schreiberhau und Umgebung, wo man wohl am meisten nachgeforscht hat, scheint Rübezahl wenigstens nicht in der Vorstellung aller Leute die gleiche dominierende Stellung unter den Geistern einzunehmen wie in den übrigen Teilen desselben, besonders im Südosten. Ich werde hierauf noch weiter unten zurück- kommen.
Nach Leuten, die willens sind über Rübezahl zu erzählen, muss man allerdings in den meisten Teilen des Riesengebirges suchen. An vielen Orten wissen auch in der Tat nur noch alte Leute von ihm. Auch ist der Grad der Bereitwilligkeit, von ihm zu sprechen, bei den einzelnen Personen, die Auskunft geben, ein sehr verschiedener. Im allgemeinen ' empfiehlt es sich nicht gleich mit der Türe ins Haus zu fallen, sondern mit den Ijcuten erst vortraut zu werden und sie zuerst z. B. nach der Gründungssage ihres Dorfes, die ja meist nichts Wunderbares enthält, zu befragen. Doch findet man auch noch Leute — besonders im Südosten — , die sich eine besondere Freude daraus nmchen, von ihrem Berggeist auch einmal einem Fremden zu erzälilen. Meine Erkundigungen haben sich sowohl auf die allgemeinen Anschauungen über Rübezahl wie aucli auf die über ilni umlaufenden Erzählungen erstreckt. Unter letzteren befinden sich nun allerdings auch solche, die aus der Unterhaltungsliteratnr allgemein bekannt sind. An einer Rückbc.einflussung durch diese lässt sich hier nicht "zweifeln; ja vielleicht sind diese Erzählungen zum Teil giir nicht volkstümlichen Ursprungs. Überall aber erscheinen dieselben beim Volke
Eübezahl im heutigen Volksglauben. 3
auch in volkstümliches Gewand gekleidet, weswegen ich hier auch davon einige Proben mitteile. Um dem herrschenden Irrtume, dass das Volk im Riesengebirg-e nichts von Kübezahl wisse, wirksam entgegenzutreten, nenne ich hier die Namen meiner Gewährsleute. Auch ihr Alter habe ich meist hinzugefügt, weil dies nicht ganz unwesentlich für die Beurteilung des Alters der mir von ihnen mitgeteilten Anschauungen und Erzählungen sein dürfte.
Da die Yorstellungen über Rübezahl in den verschiedenen Teilen des Riesengebirges nicht ganz einander gleichen und auch nicht überall gleich lebendig erscheinen, so empfiehlt sich eine Einteilung des mir mitgeteilten Materials nach geographischen Gesichtspunkten. Ich beginne mit dem Süd- osten des Gebietes, wo die Vorstellungen vom Dasein unseres Gebirgs- geistes noch am lebhaftesten sind, und rechne diesen Teil deshalb westlich bis zur Elbe. Hieran schliesse ich den Nordosten, wo das Dorf der einst zu Rübezahl in näherer Beziehung stehenden Kräutersucher, Krumm- hübel, liegt. Von hier gehe ich weiter auf den Nordwesten und dann auf den Südwesten über, zu welchem letzteren auch noch der tschechische Teil des Riesengebirges gehört, den ich noch separat behandeln werde. An die Darstellung der Anschauungen und Erzählungen von Rübezahl werde ich dann noch Ausführungen über die Namensform unseres Berg- geistes in den deutschen Teilen des Riesengebirges schliessen.
1. Der Südosten.
Ich beginne hier mit Riesenhain im Riesengrund, wo die Haupt- lokalisierung Rübezahls stattgefunden hat. Der Mann, der mir hier wohl am besten hätte Auskunft geben können, der über 80 Jahre alte Wirt der Bergschmiede, war leider erkrankt, so dass ich ihn nicht sprechen konnte.
Ich erfuhr in Riesenhain zunächst einiges von der daselbst geborenen und wohnenden Frau Dix, geb. Spindler, Gattin des Wirtes zum Riesen- grund. Sie hat ihr Wissen über Rübezahl hau{)tsächlich von ihrer Mutter, Anna Spindler, geb. Mitzinger aus Riesenhain, deren Vater Steiger am Bergwerk auf dem Kiesberg (dem Südwestabhang der Schneekoppe) war. Frau Dix sagte mir, dass überhaupt die alten Leute in Riesenhain früher sehr viel von Rübezahl gesprochen hätten. Im einzelnen berichtete sie folgendes:
„Rübezahl hat des Nachts Wasserrüben gestohlen, die im Ricsengrunde gebaut wurden; man durfte sich aber nicht darüber beschweren, weil man seine Rache zu fürchten hatte. Auch neckte er die Leute viel, machte z. B. die Türe auf und dann wieder zu, ohne dass er sichtbar wurde.'' Von einem unterhalb des Teufelsgärtchens (der sich hoch am Ostabhange des Brunnberges befindet) ziemlieh am nördlichen (oberen) Ende Riesenhains liegenden, etwa 2 m hohen
1*
^ Loewe:
Stein, den mir ihr Sohn gezeigt und als einen Stein Rübezahls bezeichnete hatte, sagte sie, es habe dort in der Nähe sehr gestunken. Mehr behauptete sie von Rübezahl nicht zu wissen.
Etwas mehr erfuhr ich von der unverehelichten Carolina Buch- berger, die 1840 zu Riesenhain geboren wurde und jetzt in Gross- Aupa II wohnt, wo sie Botin nach Riesenhain ist. Sie hat ihr diesbezügliches Wissen von ihrem Grossvater Gottfried Buchberger, der im Alter von 98 Jahren in Riesenhain gestorben sein soll; wie Gastwirt Dix sagte, war sein Todesjahr 1862, so dass er 1764 geboren wäre. Ich erfuhr von ihr zunächst in Riesenhain folgendes:
Rübezahl hat sich im Teufelslustgärtchen aufgehalten. Dort ist ein Mann eingedrungen, der sagte, es gäbe keinen Rübezahl, und der oben gerufen hat; Komm her, Rübezahl, ich bin da." Rübezahl hat darauf den Mann hinab- geschleudert, so dass er tot unten liegen blieb, da wo jetzt der Stein unterhalb des Gärtchens liegt. Der Stein deckt das Grab des Mannes. Das Vieh hat sich vor dem Stein gefürchtet und dort nicht gefressen; auch war es sehr kalt beim Stein.
Zu Grossvaters Grossvater ist Rübezahl gekommen am Lichtenabend. Er trat ein, ohne ein Wort zu sprechen, und legte nur seinen Hut nieder. Sein Hut war von Rinde, sein Bart ein Graubart, so wie er an den Pichten hängt. [Gemeint ist offenbar die Schmarotzerpflanze üsnea L. , in Schlesien 'Rübezahls Bart' genannt]. Die Leute waren erschrocken und redeten ihn nicht an. Sie spannen weiter, und Rübezahl machte Bewegungen, als ob er auch spänne. Was er aber spann, ist wieder nur Graubart gewesen. Dann ging er wieder hinaus, ohne ein Wort gesprochen zu haben.
Zu diesen Erzählungen fügte Carolina Buchberger zunächst nur noch .die Bemerkung, dass Rübezahl auch eine Frau namens Emma gehabt habe. Mehr wüsste sie nicht über ihn. Doch Hess sie mir bald darauf bei ihrem Fortgange sagen, dass der Mann, den Rübezahl aus dem Teufelslust- gärtchen geschleudert habe, dort die Springwurzel habe graben wollen. Es ist das offenbar die wirkliche Gestalt der Sage. Die Springwurzel muss ihr wohl selbst so sehr mit dem Aberglauben verknüpft erschienen sein, dass sie dieselbe zunächst gar nicht nennen mochte und mir die Geschichte anders erzählte, als wie sie ihr wirklich bekannt war. Als ich sie am folgenden Tage in Gross-Aupa befragte, wie die Springwurzel aus- gesehen und welchem Zwecke sie gedient habe, behauptete sie, dies niclit zu wissen. Audi betonte sie jetzt, dass sie selbst Rübezahl niemals ge- sehen hätte, auch ihr (Jrossvater nicht mehr, sondern nur ihres Gross- vaters Grossvater. Wenn nun auch die erste Darstellung, die Carolina Buchberger über den herabgestürzten Mann gab, unrichtig ist, so geht docli soviel daraus hervor, dass auch der Glaube existiert, Rübezahl strafe die Leute, die seine Existenz leugnen, und diejenigen, die ihn höhnisch Rübezahl rufen.
Dass das Teufelsgärtchen als Wohnsitz Rübezahls gedacht wird, folgt auch aus einer mir gemachten Benierkuu"' des (rastwirts Dix, wonach die
Rübezahl im heutigen Vülksglauben. 5
von dort heräbführende Rinne 'Rübezahls Rutschbahn' heisst. Man braucht sich ja auch nur daran zu erinnern, dass auf Rübezahl viele Züge des Teufels übertragen worden sind und er selbst bisweilen mit dem Teufel für identisch gehalten wurde (vgl. Zacher, Rübezahl-Annalen S. 80). Gast- wirt Dix (geb. 1848) sagte mir im übrigen noch, dass sein A^ater, wenn ein Kind unartig war, gesagt habe: „Der Rübezahl holt dich."
In Gross-Aupa erhielt ich zunächst iAIitteilungen von dem dort 1825 als Sohn eines Tagelöhners geborenen Valentin Braun, der selbst auf dem Kiesberg eine Heunng hatte und noch jetzt in Gross-Aupa II wohnt. Er berichtete folgendes:
Rübezahl ist ein Berggeist, der im Teufelslustgarten haust. Der Berggeist wollte aber nicht Rübezahl heissen, weil das ein Spottname war, sondern mit seinem wirklichen Namen Johann Rübenzähler; Johann war sein Taufname. (Hier haben wir also noch den 'Dominus Johannes', die ehrende Benennung Rübezahls bei den Kräutersuchern nach Prätorius.) Rübezahl hat auch Spektakel gemacht und Komödie gespielt, man weiss nicht mit was für Instrumenten: so entstand ein Gewitter. Er erschien bald in kleiner, bald in grosser Gestalt, bald wie ein Semraeljunge, bald wie ein Forstadjunkt.
Valentin Braun erzählte mir ferner ausser zwei Geschichten von den einst im Riesengebirge Gold suchenden Venedigern auch vier verschiedene von Rübezahl, von denen die beiden ersten freilich nur Varianten von Märchen sind, die wir aus Mnsäus kennen. Ich lasse hier diese vier Geschichten folgen. (Die Überschriften rühren hier wie bei allen folgenden Erzählungen von mir her):
1. Rübezahl uud Emma. Es ist einmal eine Prinzessin namens Emma durch das Riesengebirge gereist. Der Berggeist stahl sie und schleppte sie in eine Höhle. Seine Mutter musste sie bewachen, damit sie nicht davonliefe. Doch schrieb Emma von der Höhle aus ihrem Vater, dem Könige, dass er sie holen sollte, wenn sie sich aus der Höhle befreit hätte. Sie überredete den Berggeist, dass er in seinem Lustgarten Rüben zählen und sie dazu mit hinaufnehraen sollte. Während er aber eifrig zählte, gelang es ihr zu entwischen. Ihr Vater holte sie dann ab. Die Leute aber nannten den Berggeist von nun ab spöttisch Rübezahl.
2. Rübezahl und die Grasmäherin. Eine Frau ging in das Riesen- gebirge, um Gras für ihre Ziege zu mähen. Rübezahl trat zu ihr. Sie sagte: „Rübezahl, bleibt das Wetter schön'?'' Der Berggeist fühlte sich durch den Namen Rübezahl beleidigt und machte ein Gewitter. Die Frau raffte schnell ihr Gras zusammen und wich dann vor dem Unwetter. Zu Hause gab sie das Gras ihrer Ziege. Die aber krepierte davon. Als die B'rau aber die Ziege aufschnitt, war das Eingeweide ganz von Gold.
3. Rübezahl und die Berghexe. Rübezahl ging einst wie ein Forst- adjunkt aussehend auf dem Kiesberge einher. Da sah er eine schöne Frau auf einem Stocke^) sitzen. Er sagte zu ihr: „In Schwarzonthal ist Musik, da wollen wir hingehen und tanzen"; er war überhaupt ein grosser Liebhabor von Frauen. Sie war einverstanden und ging mit. In Schwarzenthai aber litt es Rübezahl nicht,
1) Stock bezeichnet im Riesengfbirgsdialekt den unteren Teil eines Baumstammes. Auf Baumstümpfen sitzen bekiinntlicli die Holzweiblcin.
6 - Loewe:
dass die anderen Burschen auch mit ihr tanzten. Die erkannten ihn wohl und wurden neidisch auf ihn; auch die schöne Frau selbst wurde unzufrieden. Sie ging hinaus und kam bald wieder herein in ihrer wahren Gestalt als Berghexe mit einer Karbatsche in der Fland. Damit schlug sie den Rübezahl und verschwand sodann. Die Burschen lachten ihn aus, er aber lief davon.
4. Rübezahl will Deutschland ertränken. Rübezahl wollte nicht, dass die Leute von Deutschland herüberkämen. Er nahm vom Mittagsstein einen grossen Teil Steine und wollte sie in den grossen Teich werfen, damit Deutsch- land überschwemmt und ertränkt würde. Auf dem Wege begegnete ihm ein altes Mütterchen und sagte: „Wo gehst du hin mit den Steinen?" „Ich will sie in den Teich werfen" lautete die Antwort. „Ruhe aus" sprach das Mütterchen. Darauf verschwand es — es war die Mutter Gottes -, und Rübezahl musste die Steine zurücklassen; es sind die Dreisteine. An diesen sind auch noch als Merkmal die Ketten zu sehen, mit denen er die Steine auf seine Hocke, die er auf dem Rücken trug, gebunden hatte ^).
Ausser den hier mitgeteilten Sagen erzählte mir Valentin Braun auch noch eine Geschichte von Eübezahl aus seinem eigenen Leben. Es war im Jahre 1868, als er einmal auf dem Koppenberge drei Heuhaufen gemaclit und sich dann etwa drei Minuten weit von ihnen entfernt hätte, um zu mähen. Als er nach einer Stunde wieder zurückgekommen, wären die Heuhaufen verschwunden gewesen und es hätte statt dessen ein Bergstock dagelegen von einer Form, wie er sonst im Gebirge nicht im Gebrauche ist. Er zeigte mir den Stock, der aus einem schlangenartig gekrümmten, dicht über der Erde abgeschnittenen Knieholzstamme bestand, von dem die Aste entfernt worden waren. Er behauptete, dass niemand anders als Rübezahl den Tausch vorgenommen haben könnte.
Weiteres erfuhr ich von dem in Gross-Aupa im Jahre 1833 als Sohn eines Fassbinders geborenen und dort noch wohnhaften, jetzt erblindeten Handarbeiter Wilhelm Gleisner. Nach diesem ist Rübezahl jetzt noch im Hochgebirge zu sehen, besonders auf dem Blauseitenberg. (Hierunter ist der Brunnbero' zu verstehen, auf dessen Ostabhano- im Süden ein Teil die Blauhölle heisst, weil die Felsen dort blau schimmern, wie mir Gast- wirt Dix und sein Sohn sagten; aucli der Blaugrund ist in der Nähe. Der Name „Blauhölle" hat offenbar auch Beziehungen zu Rübezahl als Teufel. Weiter nördlich, auf dem Ostabhang des Brunnberges, liegt das Teufels- gärtchen, noch weiter nördlich daselbst andere Stellen, die „Rübezahls Lustgärten" genannt werden.) Nach W. Gleisner hat Rübezahl einen langen, weissen Bart, raucht seine Tabakpfeife, hat ein Bündel auf dem Rücken und einen langen Stock in der Hand; doch trägt er sich das eine Mal so, das andere Mal so. — A''on Rübezahlgeschichten aus früherer Zeit erzählte mir W. Gleisner nur die von der Grasmäherin. Seine Darstellung
1) Auf meine Frage, was doim die Deutschen Rübezahl zuleide getan hätten, dass er sie ertränken wollte, antwortete Valentin Braun: „VValirscheinlich hatten sie ihn geneckt, hatten «resasrt 'Du Kül)ezahl'."
Rübezahl im heutigen Volksglauben. 7
stimmt liier ganz zu Muscäus: „Das Kind, das die Grasmäherin mitgebracht hat, schreit viel; da sagt die Mutter: „Kübezahl soll dich holen". Dieser <^rscheint darauf, füllt aber den Korb der Frau mit Laub. Die Ziegen, die zu Hause das Laub fressen, sterben davon; aufgeschnitten zeigen sie Dukaten in ihren Eingeweiden." W. Gleisner sagte mir auch, dass er Tiel von Rübezahl gelesen habe (Valentin Braun dagegen, der die Geschichte abweichend von Musäus erzählte, kann nicht lesen). Im übrigen berichtete er mehrere Geschichten von Rübezahl aus seiner Zeit, darunter eine als eigenes Erlebnis. Ich lasse sie hier folgen:
1. Rübezahl in der Wiesenbuude. In der Wiesenbaude [auf der weissen Wiese, an der Nordseite wieder des Brunnberges] hat sich Rübezahl öfters bei nächtlicher Zeit im Winter gezeigt, wenn die Baude mit Schnee verschüttet war und man Lichtlöcher schaufelte. Eine aus Spindelraühle gebürtige und jetzt in -Gross-Aupa wohnende alte Frau, die in der Wiesenbaude beschäftigt war, hat ihn oft durch die Lichtlöcher gesehen und davon erzählt.
2. Die Pascher. Vor etwa 40 Jahren wollten ungefähr zwanzig Pascher von Preussen nach Österreich in der Nacht mit Wagen fahren. Als sie über das Stirndle oberhalb der Geiergucke ihren Weg nehmen wollten, streckte dem ersten ein Mann — es war der Rübenzähler — ein Bein vor. Der Pascher fuhr daneben, Rübezahl streckte wieder ein Bein vor. Der Pascher fuhr abermals daneben; als aber Rübezahl zum dritten Male ein Bein vorstreckte, fuhr der Pascher — er war ■ein rautiger Mann, ein ehemaliger Soldat — doch an der gleichen Stelle über die Grenze. Die anderen Pascher fuhren hinterdrein. Doch der, welcher vorangefahren war, starb am dritten Tage; den anderen hat es nichts getan.
3. Rübezahl als Wegweiser. Vor etwa 35 Jahren gingen einmal drei Männer, Christoph Scharf, sein Bruder Emil Scharf und Anton Zinecker im Dunkeln von der Riesenbaude zur Wiesenbaude. Christoph Scharf fiel ein Stück herunter, ohne Schaden zu nehmen; Emil Scharf blieb in der Angst sitzen, wobei ihm die Füsse erfroren; Zinecker aber ging einer Laterne nach. Der Mann, der die Laterne trug, kam ihm aber sehr verdächtig vor; auf einen Schritt desselben musste er immer vier bis fünf machen. Vor der Wiesenbaude verschwand der Mann; da dachte sich Zinecker, dass es der Rübenzähler gewesen wäre Zinecker wohnt .noch heute auf dem Fuchsberg, Christoph Scharf in Nicder-Marschendorf.
4. Rübezahl als Irreführer. Am 8. September ISGOging ich mit Engelbert Bensch vom Heuernten aus der Hampelbautle über die Wiesenbaude und die Koppen- flecke auf die schwarze Koppe zu. Da lag Nebel, aber kein „verirrsamer". Auf «inmal sahen wir im Nebel einen Mann mit langem, weissem Bart und einem Bündel auf dem Rücken. Wir fürchteten uns und wichen ihm aus. Bald aber sahen wir ihn vor uns und immer wieder an einer anderen Stelle; einmal setzte er sich auch auf einen Stein. Er trug einen dreieckigen Hut; niemals aber Hess er sich ganz genau sehen. Es war Rübezahl, der uns viele Stunden lang irre- leitete.
Eine Äusserung über Rübezahl hörte ich in Gross-Aupa noch von der etwa G<) Jahre alten Frau Barbara Gleisner, geb. Knesfel, die im Logierhaus der Frau Marie Gleisner bedienstet ist. Sie sagte, sie habe Rübezahl oft auf den Bergen gesehen, wie er eine Hocke trug; wenn er aber merkte, dass sie ihn sähe, so verschwand er. Als sie sah, dass ich mir Notizen niachte, gab sie mir keine weitere Auskunft.
8 Loewe:
Mehrere Geschichten von Rübezahl erzählte mir dagegen der Zimmer- polier Berthold Hintuer in Braunberg (Brauubauden) unterhalb des Fuchs- berges; derselbe ist 1850 auch in Gross-Aupa geboren, doch hat er seine Rübezahlerzählungen hauptsächlich von seinem Grossvater väterlicherseits aus Klein-Aupa. Er weiss viele solche Geschichten, von denen ich jedoch nur einige anzuhören Zeit hatte. Von diesen ist eine auch in ein Märchen des Musäus eingeflochteu. Doch sagte mir Berthold Hintner, dass er, obwohl er auch einmal ein Buch über Rübezahl gelesen hätte, mir nur solche Geschichten gäbe, die er vom Vater und Grossvater hätte. Er be- richtete mir folgendes:
1. Rübezahl und der Holzarbeiter. Ein armer Holzarbeiter suchte einmal nach einem Kollegen. Es gesellte sich auch ein anderer Arbeiter zu ihm. Als sie aber in den Wald gekommen waren, arbeitete der Kollege nichts, und der erste Arbeiter konnte aliein nichts machen. Sie frühstückten dann zusammen, ruhten aus, bis die Frauen das Mittagessen brachten, und ruhten dann weiter aus. „Wieviel Arbeit werden wir uns heute rechnen?" fragte endlich der Kollege. „Heute werden wir uns wenig rechnen, denn wir haben nichts getan", lautete die Antwort. „Wir werden uns sehr viel rechnen", antwortete der Kollege: darauf stellte er in einer halben Stunde siebentausend Klötze und zweitausend Klafter Holz in Ordnung. Es war niemand anders als Rübezahl. — Der Arbeiter bekam nun Durst. Da sagte Rübezahl: ■ „In Prag geht eine Kuh über die Brücke; die wollen wir aus- melken." Darauf hieb er die Hacke in einen Stamm ; der andere musste den Topf unterhalten. Die Milch lief sogleich so stark über den Griff der Hacke, dass der Topf in einer halben Minute voll war und der Schaum herablief.
2. Rübezahl als Toter. Rübezahl sagte einmal zu seiner Fiau: „Wenn ich gestorben bin, dann musst du mich auf das Leichenbrett binden, damit ich dir nichts tun kann." Die Frau erwiderte: „Du wirst mir nichts tun; wir haben ja immer sehr gut miteinander gelebt" Da sagte Rübezahl: „Seele aus, Liebe aus. Du musst mich aufbinden." Als er gestorben war, band sie ihn dann auch auf das Leichenbrett fest. Dann spann sie fleissig weiter am Spinnrad. Als sie eine Zeitlang gesponnen hatte und noch weinte, bekam sie plötzlich eine Fusssocke in das Gesicht geworfen. Sie sah, dass die Socke von ihrem Manne war, und zog sie ihm wieder an. Von nun ab nahm sie ihn besser ins Auge. Als er nun das linke Bein emporhob und die andere Socke hinüberwerfen wollte, nahm sie Reissaus. Sie ging an das Ofenloch, griff eine Handvoll Asche und streute sie auf die Stiege. Dann ging sie rücklings die Stiege hinauf. Als sie zum Schlage kam (zum Tor, wo man das Heu einfährt), da sah sie Rübezahl mit dem Brett auf dem Rücken unten vor der Treppe stehen. Als er die Fusstapfen sah, sagte er: „Eins herunter, und keins hinauf." Das Brett stemmte sich darauf in die Decke ein, so dass er nicht fort konnte. In der Frühe erschien dann die Frau mit dem Nachbar, der ihren Mann losmachte, ihn in das Zimmer trug und bis zum Begräbnis bewachte. Rübezahl ist dann auch nicht wieder unruhig geworden. Er wurde darauf begraben.
3. Rübezahl als Gläubiger. Ein armer Mann aus Krunimhübel ging traurig in den Wald, als ihm dort ein anderer Mann begegnete und nach dem Grunde seiner Traurigkeit fragte. „Mir wird mein Haus verauktioniert, ich habe kein Geld und viele Kinder" lautete die Antwort. Da hat der fremde Mann dem armen Mann Geld geliehen und gesagt: „In einem Jahre musst du wieder hier auf demselben Fleck sein und die Prozente mitbringen." Als das Jahr vorüber
Eübezahl im heutigen Volksglauben. 9.
war, erschien auch der arme Mann an der bestimmten Stelle, hatte aber weder Kapital noch Prozente. Da sagte der Fremde: „Weil du so pünktlich bist, werde ich dir das Geld schenken; merke dir, ich bin Rübezahl."
4. Rübezahl als Kindesretter. p]ine Frau aus dem Riesengrunde ging mit ihrem Kinde, einem kleinen Mädchen, zum Jahrmarkt nach Marschendorf. Auf dem Rückwege verin-te sie sich und lief die ganze Nacht vergebens umher. Da trat ein Mann zu ihr und fragte: „Wo gehst du hin?" Sic antwortete: „Ich will jiach Hause gehen; wo bin ich denn hier?" Da sagte der Mann: „Du bist im Walde; ich gehe schon immerfort hinter dir her." Der Mann zeigte nun der Frau, die bis in den Riesenkessel gekommen war, einen Heimweg und verlor sich dann wieder. Die Frau kam gut nach Hause, bemerkte aber nun, dass sie ihr Kind verloren hatte. — Ein Jahr darauf wollte sie in den Wald gehen, um Brennholz zu holen. Als sie auf die Wiese kam, bemerkte sie dort ein Loch, das in die Erde ging; in dem Loche aber stand ihr Kind. Als sie ihr Kind zu sich rief, stand derselbe Mann vor ihr, der ihr vor einem Jahre den Weg gewiesen hatte, und sagte: „Komm nur herein, du kannst dein Rind bekommen." Als sie in die Höhle getreten war, sah sie dort lauter Siicke voll Gold stehen. Sic durfte so viel Gold, wie sie konnte, in ihre Schürze raffen, und ausserdem erhielt sie ihr Kind zurück. Der Mann sagte darauf: „Der Rübezahl hat dein Kind gerettet" und verschwand.
Als mir Berthold Hintner von Rübezahl als Totem erzählt hatte, be- merkte er bei der folgenden Geschichte, dass Rübezahl, nachdem er als Mensch gestorben wäre, doch als Geist weitergelebt hätte.
Ferner sagte er mir, dass Rübezahl in seinem Garten gegenüber der Bergschmiede [also im Tenfelsgärtchen] einen Apfelbaum gehabt hätte, an dem ganz kleine Äpfel reiften; zu Weihnachten brächte er diese Apfel armen Kindern. Erst vor zwei Jahren hätten Touristen den Apfelbaum weggeschnitten. Yon diesem Apfelbaum hört man überhaupt im L'mkreise viel reden. So sagte mir Valentin Braun, dass im Teufelslustgarten ein Apfelbaum stehe, der keine reifen Früchte bringe, und Wilhelm Gleisner bemerkte, dass im Teufelslustgarten Äpfel so gross wie Kirschen wüchsen, die nur auf einer Seite rot wären; es wüchsen dort aber auch wirkliche Kirschen, ferner Birnen, Pflaumen und allerhand Blumenwerk.
Von Rübezahl berichtete mir ferner Frau Maria AVimmer, geb. Buchberger, die 18.34 in einer Baude im Blaugrunde geboren wurde und jetzt in Gross-Aupa II wohnt, wo ihr Mann Feldgärtner ist.
Als Kind hat Frau Wimmer viele Geschichten von Rübezahl gehört, die sie aber nicht mehr weiss. Desto lebendiger ist in ihr Rübezahls Bild als eines Geistes, der noch heute in ihrer Heimat lebt. Sie sagte, dass Rübezahl sich immer auf den hohen Bergen aufluilte; sein Wohnsitz aber wäre die Blauhölle. Doch sei er auch dort nur selten zu schauen, weil er sich den Blicken der Menschen entziehe, w^enn er sich bemerkt sehe. Doch habe sie selbst ihn zweinuü im Leben erblickt. Sie erzählt darüber folgendes:
„Als ich als dreizehnjähriges Mädchen die Kühe hütete, sah ich, wie fünf andere Kühe, die über der Blauhölle weideten, in Gefahr waren abzustürzen.
]0 Loewe:
Eine stürzte schon und blieb unten zerschmettert liegen. Da kam plötzlich Rübe- zahl von den Kniescheiben herunter. Er war von der Statur wie ein Mann, trug eine runde Kappe, einen Mantel mit Gürtel und hohe Stiefel und hatte eine Peitsche in der Hand; genau konnte ich sein Gesicht nicht sehen, weil ich zu weit stand. Er rettete die vier anderen Kühe, indem er sie emporholte. Als die Eigentümerin und der Hirt der Kühe erschienen, war er schon verschwunden."
„Zum zweiten Male sah ich Rübezahl als Mädchen von 1.") oder 16 Jahren; meine Schwestern waren damals bei mir und sahen ihn auch. Wir sahen, wie er von einem Felsen zum anderen, wo kein menschlicher Fuss hingelangen kann, hüpfte und sprang, besonders in der Richtung von den Kniescheiben auf Teufels- lustgärtchen zu. Er sah diesmal aus wie ein Junge mit eng anliegenden Hosen. Ais wir unserem Vater davon erzählten, sagte er: „Ihr werdet etwas Schönes ge- sehen haben"; in Wirklichkeit glaubte er es dennoch."
Auch sagte Frau Wimmer noch: „Andere Leute fürchten sich vor Rübezahl: ich habe mich niemals vor ihm gefürchtet, denn er ist ein guter Geist." Auf die Frage, ob denn Rübezahl jetzt noch da sei, antwortete sie: „Gewiss, die Blau- hölle ist ja auch noch da."
Weiteres hoffte ich von Anton Zinecker auf dem Fuchsberge zu erfahren, der nach der Erzählung Wilhelm Gleisners einmal von dem Berggeist mit einer Laterne uach der Wiesenbaude geführt worden war. und der, w^ovon Konrad Zachers Sohn gehört hatte (Zacher, Rübezahl- Annaleu S. 75, Fussnote), selbst stundenlang von Rübezahl zu erzählen pflegte. Leider musste ich auf dem Fuchsberge erfahren, dass Anton Zinecker schon gestorben war. Sein Sohn, Karl Zinecker, bezeugte mir, dass sein Vater sehr viel von Rübezahl gesprochen habe, sagte aber, dass er seine Geschichten nicht mehr wiedererzählen könne. Nur wie der Fuchsberg zu seinem Xameu gekommen sei, berichtete er mir ausführlich nach der Erzählung seines Vaters.
Nach Mitteilung von Karl Zineckers Frau hat Anton Zinecker, der 1813 im Gasthaus zur Fuchsbaude selbst geboren war, die Geschichte von der Grasmäherin in zwei Formen erzählt, nach deren einer das von Rübezahl ihr in den Korb gepackte Laub gleich in diesem und nach deren anderer es erst in den Eingeweiden der Ziege zu Gold wurde. Nach ihrer Mit- teilung hat auch Anton Zineckers im Jahre 1818 in einer der Auerwies- bauden geborene Frau viel von Rübezahl zu berichten gewusst. Diese hatte besonders die Geschichte von Rübezahl und der Prinzessin erzählt, die ich hier nach dem Berichte ihrer Schwiegertochter wiedergebe:
Rübezahl hatte ein unterirdisches Reich. Er liebte die Frauen sehr und ging als Prinz verkleidet zu einem König, um sich um dessen Tochter zu bewerben. Er erhielt sie auch und nahm sie mit in sein Reich. Alle Frühjahr brachte er ihr neue Kammerfrauen dorthin. Er selbst war bald bei ihr, bald aber oben auf der Erde. Im Winter aber starben die Kammerfrauen Darüber betrübt fragte sie, warum sie im Winter keine Gesellschaft hätte. Da erklärte er ihr: „Im Frühjahr werden Rüben ausgesät, und aus den Rüben mache ich dir Gesellschaft: sie müssen im Winter verwelken." Sie wollte nun wissen, wie er das mache, und ging mit ihm auf die Erdoberfläche. Da pochte er mit dem Stabe auf die Rüben, und es entstanden Jünglinge und Jungfrauen daraus. Als er nun einmal
Rübezahl im heutigen Volksglaiibeu. ] 1
abwesend war — es war noch vor Schluss des Sommers, ehe die Rüben ver- -welkten — , ging sie auf die Erdoberfläche und machte aus einer Eübe einen Wächter. Dann aber entfloh sie: der Wächter musste sie davor schützen, dass ihr Rübezahl auf den Hals kam.
Im Südosten des Riesengebirges erfuhr ich endlich noch Rübezahl- geschichten von Yinzenz Ho 11 mann, Besitzer der Scharf bände auf der Teufelswiese, der aber, wie schon die früheren Besitzer, sein Yater und sein Grossvater mütterlicherseits, die Winter in St. Peter zubringt. Er ist 1852 geboren. Er erzählte mir folgendes:
1. Rübezahl auf einer Feder liegend. Rübezahl lag einst auf einem Stein; ein altes Weib kam hinzu und sagte: „Du liegst ja zu hart, du musst dich auf Federn legen. Sie gab ihm darauf eine Feder. Er tat sie auf den Stein und legte sich darauf. Da sagte er: „Es liegt sich jetzt bald noch härter als früher.''
2. Rübezahl und die schwangere Frau. In der Nähe der Schneekoppe begegnete Rübezahl einmal einer schwangeren Frau. Sie erschrak über ihn, und die Geburt wurde dann gerade so wie Rübezahl.
3. Rübezahl und der Botaniker. Rübezahl ging einmal mit einem Botaniker Blumen zu suchen. Da sahen sie beide eine Blume von einer Art, wie keiner von beiden schon eine hatte. Jeder wollte sie pflücken; so bekamen sie Streit und gingen auseinander. Doch kamen sie am nächsten Tage wieder zu- sammen. Da fanden sie wieder eine Art Blume, die jeder von beiden pflücken wollte. Da packte Rübezahl den Botaniker und würgte ihn; darauf gingen sie wieder auseinander. In acht Tagen aber kamen sie zum dritten Male zusammen. Da sagte der Botaniker: „Was willst du mit den Blumen machen? Gib sie mir, ich werde sie in die Apotheke schaffen und dir das Geld dafür bringen." Rübe- zahl gab ihm seine Blumen und wartete sodann acht Tage, aber der Botaniker kam nicht zurück.
4. Rübezahl und der Riese. Rübezahl hat einmal rauchen wollen und sich eine Pfeife gekauft. Da er keinen Tabak hatte, stopfte er sich Moos in die Pfeife. Er hatte aber auch kein Feuerzeug. Als er eine Strecke weiter gegangen war, begegnete er einem Riesen, den er anhielt, ob er nicht Feuerzeug hätte. „Feuerzeug habe ich nicht, aber Feuer will ich dir machen" erwiderte der Riese. Dann nahm er zwei Steine auf und schlug Feuer damit. Darauf sagte er weiter: ^Hier hast du einen Stein und hier habe ich einen Stein; die wollen wir in die Höhe werfen und sehen, welcher am längsten oben bleibt." Der Riese warf zuerst, und es dauerte fast eine halbe Stunde bis sein Stein wieder unten war. Darauf warf Rübezahl, nachdem er in der Tasche den Stein mit einem Vogel vertauscht halte. Der Vogel kam natürlich gar nicht wieder zurück. Da sagte der Riese: ,,Du bist ein Betrüger; mit dir will ich nichts mehr zu tun haben" und ging seiner Wege. [Vgl. R. Köhler, Kl. Schriften 1, 8G. 329.]
5. Rübezahl will Deutschland ertränken. Rübezahl wollte einmal Deutschland ertränken: dazu nahm er den Mittagsstein und wollte ihn in den grossen Teich werfen. Er tat eine Kette um den Hals und hängte sich daran den Stein auf den Rücken. Da begegnete ihm eine Frau und sagte, er solle ruhen, wenn es ihm zu schwer würde: sie wolle ihm wieder aufhelfen. Darauf ruhte er aus. Als er aber wieder aufstehen wollte, vermochte er es nicht und musste den Stein stehen lassen. Der Miltagsstein ist dieser Stein, an dem der Ring noch zu sehen ist. an welchem die Kette befestigt war.
12 Loewe:
Die letzte Erzählung hatte mir etwas abweichend schon Yalentiii Braun gegeben (oben S. 5). Sie wurde mir noch an verschiedenen Orten erzählt und scheint überhaupt die verbreitetste Rübezahlgeschichte im ganzen Riesengebirge zu sein. Nur nacli Braun sind auf diese Weise die Dreisteine als eine Absplitterung des Mittagssteins entstanden; nach allen übrigen Erzählern ist nur der Mittagsstein auf diese Weise an seine Stelle- gekommen; von einigen freilich, auf der böhmischen Seite, wurde überhaupt der Stein nicht mit Namen genannt. Vinzenz Hollmaun bemerkte auch noch, man sage, dass Rübezahl ein Bergwerk bei seinem Garten gehabt habe. (Reste eines Bergwerks befinden sich auf dem Kiesberge auf der Ostseite des Riesengrundes, auf dessen W^estseite der Brunnberg mit den verschiedenen Gärten Rübezahls liegt.) Mein Gewährsmann meinte ferner noch, dass Rübezahl jetzt nicht mehr lebe, weil er nicht mehr sichtbar sei. Auch habe sich in St. Peter niemand vor ihm gefürchtet.
Bemerkenswert erscheint mir noch die Mitteilung des achtzehnjährigen Sohnes von Vinzenz Hollmann, wonach in St. Peter seine Altersgenossen und er sich noch die Geschichten von Rübezahl erzählten, die sie von Eltern und Grosseltern gehört hätten. Er selbst wenigstens aber glaube nicht mehr an die Wahrheit dieser Erzählunoen.
2. Der Nordosten.
Im Nordosten des Riesengebirges habe ich leider nur sehr kurze Zeit verweilen können. Ich erhielt hier meine hauptsächlichste Auskunft von Hermann Hase, jetzt Villenbesitzer in Krummhübel, geboren 1839 in der von jeher im Besitze seiner Vorfahren befindlichen Hasenbaude bei der Schlingelbaude unweit der Dreisteine. Obwohl Hase selbst nicht mehr wundergläubig ist, unterrichtete er mich doch bereitwilligst über alles, an was er sich noch erinnert. Wie er mir sagte, spricht man in seiner Gegend seit 30 — 40 Jahren nicht mehr viel über Rübezahl; dagegen war in früheren Zeiten sehr viel von ihm die Rede, mehr noch als vom Nachtjäger. Unerklärliche Erscheinungen bezog man eben auf Rübezahl, so z. B. die Irrlichter. Im einzelnen erzählte man folgendes:
Rübezahl war ein hagerer Mann mit eingefallenen Backen und vorstehenden Augenknochen und mit grauem, schimmeligem Barte, der bis über den Nabel reichte. Al